Eckhard Schiele, Tischlerei Schiele, Lehrte

Überraschende Zahlungspflicht treibt Unternehmer in Insolvenz

Tischlermeister Eckhard Schiele, 60 Jahre alt, ist seit 1989 mit seiner Tischlerei in Lehrte selbstständig tätig und beschäftigt zur Zeit einen Mitarbeiter. Anfang 2007 erhielt er von der SOKA-BAU Post, weil diese überprüfen wollte, ob sein Unternehmen „berechtigt und verpflichtet ist, an den Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft teilzunehmen“.

Die Sozialkasse Bau (SOKA-Bau) ist der seit 2001 zusammengeführte Dachverband der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK) und der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse (ULAK). Diese Kassen wurden in den Nachkriegsjahren unabhängig voneinander gegründet, um den Arbeitnehmern im Baugewerbe Urlaubs-, Lohnausgleichs- und betriebliche Rentenbeihilfeansprüche zu sichern.
Bauunternehmer müssen derzeit 19,8 % in den alten Bundesländern bzw. 16,6 % in den neuen Bundesländern des Bruttolohns eines jeden Beschäftigten (Stand: Januar 2013) an die SOKA-BAU abführen – zusätzlich zu den üblichen Sozialversicherungsbeiträgen. Verlässt ein Arbeiter die Firma oder geht der Betrieb, der ihn beschäftigt, in die Insolvenz, zahlt die SOKA-BAU an den Arbeiter auf Antrag bestimmte Gelder aus. Geregelt ist das im Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), der ebenso wie der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV), vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales für allgemein verbindlich erklärt wurde. Mit der Allgemeinverbindlicherklärung erfassen die Rechtsnormen des Tarifvertrags in seinem Geltungsbereich auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (§ 5 Abs.4 Tarifvertragsgesetz).

Fenstermontagen lösen Beitragspflicht aus – Betrieb muss in die Insolvenz

Über das Schreiben der SOKA-BAU war Eckhard Schiele sehr überrascht, denn er hatte von dieser Sozialkasse noch nie etwas gehört. Mit Schreiben vom 02.08.2007 stellte die SOKA-BAU, nachdem ein Außendienstmitarbeiter der SOKA-BAU Einblick in die Betriebsunterlagen Eckhard Schieles genommen hatte, zunächst fest, dass sein Betrieb nicht am Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft teilnehmen muss. Am 28.09.2007 meldete sich die SOKA-BAU jedoch erneut bei Herrn Schiele und erklärte schriftlich: „Bei nochmaliger Prüfung des Sachverhalts, unter Berücksichtigung der uns nunmehr seitens der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit zugegangenen Informationen und der geltenden Rechtsprechung kommen wir – entgegen der zuvor genannten Entscheidung – zu dem Schluss, dass Ihr Unternehmen seit 2005 arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Arbeiten ausführt und somit verpflichtet ist, an unseren Sozialkassenverfahren teilzunehmen.“

Eckhard Schiele ist von der Teilnahmepflicht an den Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft überrascht. Denn nach seinem Verständnis ist er als Tischlermeister ein Handwerksbetrieb und nicht als Bauunternehmer tätig. Dank der Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist der Betrieb von Herrn Schiele aber betroffen, obwohl er keiner Tarifpartei angehört. Zwar sind Tischlereien gemäß Abschnitt VII des Tarifvertrags vom Tarifvertrag ausgenommen, jedoch nur, wenn sie überwiegend keine Montagearbeiten auszuführen. Eckhard Schiele bietet in seiner Tischlerei Fenstermontagen an. Und weil er solche Arbeiten überwiegend ausführt, fällt sein Betrieb laut Abschnitt VI  unter den Tarifvertrag.
 
Die SOKA-BAU eröffnete für Herrn Schiele ein Beitragskonto und forderte mit Schreiben vom 17.02.2012 über 113.000 Euro. Zwar hat der Tischlermeister im Gegenzug einen Anspruch auf Erstattung der von ihm an seine Mitarbeiter gezahlten Urlaubsvergütungen in Höhe von über 50.000 Euro gegen die SOKA-BAU erworben, wie das selbe Schreiben ausweist, jedoch wird der Anspruch nicht etwa mit der Forderung verrechnet. Nach § 18 Abs. 5 Satz 2 des Tarifvertrags über die Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) ist zudem für den Unternehmer die Aufrechnung ausgeschlossen.

Eckhard Schiele soll erst die Beiträge komplett nachzahlen, dann würden ihm die 50.000 Euro erstattet. Da es dem Herrn Schiele jedoch nicht möglich war und ist, 113.000 Euro aufzubringen und auf einen Schlag zu zahlen, bot er der SOKA-BAU eine Ratenzahlung an, welche diese jedoch ablehnte.

Eckhard Schiele wendet sich hilfesuchend an MdB Hubertus Heil und Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen

Im Rahmen einer Bürgersprechstunde wandte sich Herr Schiele an „seinen“ MdB Hubertus Heil, Mitglied des Deutschen Bundestages für den Wahlkreis Gifhorn/Peine und schilderte dort seinen Fall. Herr Heil wandte sich daraufhin mit einem Schreiben vom 14. April 2012 an Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, welches von ihr am 25.05.2012 auch beantwortet wurde. Das Bundesministerium für Arbeit werde sich bezüglich des Falles Eckhard Schiele mit der SOKA-BAU in Verbindung setzen, „um die Hintergründe aufzuklären und mögliche Lösungen zu erörtern“. Frau von der Leyen weist in ihrem Schreiben jedoch darauf hin, dass ihr Ministerium gegenüber der SOKA-BAU keinerlei Weisungsbefugnis besitze.

Diese Erklärung stimmt insofern nachdenklich, als sie den Eindruck erweckt als habe das Ministerium keinerlei Verantwortung. Dabei hat doch das Ministerium für Arbeit den Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt. Insofern hat das Arbeitsministerium auch die Bedingungen (Sonderrechtssituation) zu verantworten, die letztlich zur Insolvenz der Firma geführt haben. Danach ist das gesetzliche Recht (§ 387 BGB) zur Aufrechnung gegen Forderungen der SOKA-BAU mit eigenen Erstattungsansprüchen ausgeschlossen (Aufrechnungsverbot). Mit der Allgemeinverbindlichkeits-erklärung entstehen jedoch erst die großen (finanziellen) Probleme vieler Handwerker. Denn daher rührt immer wieder die Überraschung derjenigen, die eigentlich nicht tarifgebunden sind. Zudem geht es beim Tarifvertrag nicht nur um die Lohnhöhe, sondern um weitgehende Eingriffe in die rechtliche Situation.

Der Ausschluss der Aufrechnung und die Verweigerung der Ratenzahlung haben fatale Folgen, denn die Firma Eckhard Schiele musste inzwischen Insolvenz anmelden.

In einem Interview mit der Zeitschrift „Handwerk“ vom Oktober 2011 äußert sich der Abteilungsdirektor der SOKA-BAU, Thomas Arnold, zum tariflichen Aufrechnungsverbot. Im Einzelfall, so Arnold, „können wir über eine Verrechnung der Beiträge mit den Erstattungsleistungen reden“. In der Praxis sieht dies erfahrungsgemäß anders aus, wie Herr Schiele und viele andere Betroffene bereits schmerzlich erfahren mussten.

Wie viele Unternehmen nach Rechtsstreitigkeiten mit der SOKA-BAU bereits in die Insolvenz gehen mussten, sei dem Ministerium nicht bekannt. Auch Herr Arnold von der SOKA-BAU hat darüber „schlicht keine Zahlen“. Für die desaströsen Auswirkungen, die die Praxis der SOKA-BAU auf die Betroffenen hat, fühlt sich offenbar niemand verantwortlich. Im Jahr 2009 habe die SOKA-BAU jedenfalls nach Selbstauskunft insgesamt 14.129 Klageverfahren geführt. Für die Folgejahre seien keine Zahlen bekannt.

Zusätzlich zur mangelnden Problemlösungsorientierung birgt der Fall die brisante Frage der Kostentransparenz bei der SOKA-BAU. Die Kosten der Verwaltung sowie eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit sind für die Zahlungsverpflichteten nicht transparent. Bei der SOKA-BAU heißt es dazu: „Die Beiträge sind so festgelegt, dass die Leistungen von SOKA-BAU daraus finanziert werden können.“

Herr Schiele wurde mit dem hier dargestellten Fall für den „Werner-Bonhoff-Preis wider den §§-Dschungel“ 2013 nominiert, da die Stiftung durch ihn von der kritikwürdigen Praxis der SOKA-BAU erfahren hat.

(Stand der Falldarstellung: März 2013)

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